Interview mit Manfred Osten

von Langenhagener Echo

Manfred Osten zu Gast in Langenhagen

Hochdekorierter Diplomat und Goethekenner spricht zum Thema Interkulturalität

Langenhagen (sch). Er hat fünf Doktortitel und ist Träger verschiedener internationaler Auszeichnungen. Manfred Osten wirkte viele Jahre als Diplomat, später als Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Am kommenden Freitag referiert der Autor zahlreicher Fachbücher über kulturwissenschaftliche Themen im Rahmen der Sommerakademie zum Thema „Interkulturalität in unserer Gesellschaft“ im Langenhagener Bildungszentrum. Anlässlich seines Besuchs in der Flughafenstadt sprach das ECHO mit ihm über Goethe, Gesellschaft, und Globalisierung.

Herr Osten, Deutschland ist längst zu einem Einwanderungsland geworden. Brauchen wir mehr nationale Identität, um uns gegenüber fremden Einflüssen zu behaupten oder müssen wir uns diesen gegenüber stärker öffnen, um eine Gesellschaft der friedlichen Koexistenz zu entwickeln?

Ich habe in meinem Beruf vor allem im Ausland an mir selbst beobachtet, dass wir leider immer noch Tendenzen einer eurozentristischen Belehrungsgesellschaft zeigen, die Mühe hat,s ich zu transformieren in eine Lerngesellschaft anderer Kulturen.

Ihr Vortrag thematisiert die Führungsposition Chinas in einer neuen Weltordnung. Wie gefährlich ist aktuelle Blockbildung für den Weltfrieden?

China ist unbestritten der größte Gewinner der Globalisierung, weil es in den letzten 40 Jahren neben den beiden zentralen Faktoren Arbeit und Kapital vor allem den im allgemeinen Bewusstsein wenig beachteten Faktor Knowhow exponentiell stark entwickelt hat. Das Betriebsgeheimnis dieser Entwicklung will ich im Vortrag skizzieren. Für die Sicherung des Weltfriedens wird alles davon abhängen, die hieraus für China entstandenen Vorteile in ein weltweites politisches, wirtschaftliches und soziales System friedlicher Koexistenz zu integrieren.

Halten Sie es überhaupt für möglich, mit politischen Druck auf China oder Russland Veränderungen in deren Gesellschaftssystemen zu erzwingen?

Der Erfolg eines politischen Drucks auf beide Länder wird wesentlich davon abhängen, in welcher Tiefe wir bereit sind, die uns aus westlicher Sicht irritierenden und nicht akzeptablen Phänomene von ihrem weitgehend anderen historischen und soziokulturellen Ursprung her zu verstehen. Chinas Selbstverständnis ist im Gegensatz zum Westen zum Beispiel relativ wenig geprägt durch Kolonisation, dafür aber umso stärker durch die großen Erfolge der Kulturalisation schriftloser Kulturen durch die chinesische Sprache und Kultur. Hieraus resultiert ein eigenes chinesisches Selbst- und Weltverständnis, das uns nicht leicht zugänglich ist.

Brauchen wir angesichts zunehmend verhärteter Fronten zwischen Ost und West eine neue Form der Diplomatie?

Wir brauchen daher eine wesentlich stärkere, auf gründliche Ausbildung basierende Diplomatie der Inter- und Transkulturalität.

Ihr neuestes Buch trägt den Titel „Die Welt, ein großes Hospital“. Sie greifen darin Goethe und die Erziehung des Menschen zum „humanitären Krankenwärter“ auf. Was kann uns Goethe in Zeiten globaler Krisen lehren?

Goethe hat bereits 1819 im „ West- östlichen Divan“ im leider kaum bekannten „ Buch des Parsen“ den kategorischen Imperativ für das Überleben auf unserem Planeten formuliert als „ heiliges Vermächtnis“: Die absolute Reinhaltung dessen ,was wir erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts als „ Atmosphäre kennen. Ich versuche in meinem Buch zu zeigen, dass Goethe im von ihm versiegelten Schlussakt der Fausttragödie ein globales Endspiel-Szenario für den Fall hinterlassen hat, dass wir diesen kategorischen Imperativ weiterhin nicht beachten. Dort findet sich das von Mephisto prophezeite große Hospital eines Multiorganversagens unseres Planeten und seiner Bewohner in Gestalt einer Entfesselung von Rachefeldzügen der Natur, von denen wir inzwischen erste Eindrücke gewinnen.

Die Welt taumelt zwischen fortschreitender Globalisierung und einem wiedererstarken des Nationalismus. Wie krank ist die menschliche Zivilisation wirklich und was kann sie retten?

Wie krank die Menschheit ist, darauf hat soeben eine Veröffentlichung der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften in der Studie „Endspiel fürs Klima“ hingewiesen : die Möglichkeit einer Auslöschung der Menschheit durch die Klimakatastrophe.

Goethe, der Dichter des west-östlichen Divans, kam nur bis Italien. Sie wirkten als Diplomat auf vier Kontinenten. Wie verstehen Sie Interkulturalität?

Goethe hat diese Aussicht metaphorisch prophezeit und versiegelt. Interkulturalität muss daher global geweitet werden. Und zwar als die mögliche Fähigkeit des Menschen, seine inzwischen neurowissenschaftlich attestierte und leider sehr enge Empathiefähigkeit so zu entwickeln, dass alle Menschen, gleich welcher Kultur, Brüder und Schwestern einer Überlebenskultur unseres Planeten sind. Sonst bedarf es, wie es Goethe im „ Buch des Parsen „ sagt, „ keiner Offenbarung“.

Manfred Ostens Buch „Die Welt, ein großes Hospital. Goethe und die Erziehung des Menschen zum ‚humanen Krankenwärter‘“ ist im Wallstein Verlag erschienen, hat 160 Seiten und kostet 18 Euro.

Quelle: Langenhagener Echo vom 20.08.2022

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