Interview mit Bertram Schmitz

von Langenhagener Echo

Auf dem Weg zur interreligiösen Gesellschaft?

Ein Interview mit dem Religionswissenschaftler Bertram Schmitz

Langenhagen (sch). Bertram Schmitz, Professor für Weltreligionen an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, darf als interkulturell hochgebildete Persönlichkeit gelten. Er studierte Religionswissenschaft, ev. Theologie, Indologie, Semitistik, Sinologie, Slawistik und Philosophie, hat einen Doktortitel in Religionsphilosophie sowie einen weiteren in Religionswissenschaft. Das Langenhagener ECHO sprach mit ihm über religiöse Identität, Islam und Interkulturalität.

Herr Schmitz, Interkulturalität gilt in unserer modernen Gesellschaft als Schlüsselkompetenz. Während sich aber hierzulande Religionen wie der Islam und der Buddhismus zunehmend verbreiten, leiden die christlichen Kirchen unter einer anhaltenden Austrittswelle. Warum suchen so viele Menschen im Westen nach neuer religiöser Orientierung?

Viele Menschen der Gegenwart suchen Glück und Erfüllung zunehmend in sich selbst. Sie möchten sich nichts mehr vorgeben lassen und bauen sich eine individuelle Religion. Sich wie im Christentum in einer Gemeinschaft das religiöse Heil und ein ewiges Leben zusprechen zu lassen, ist ihnen fremd. Der Buddhismus wirkt exotisch und gilt als Religion der Harmonie und des Friedens. Da möchten viele mit dabei sein. Wenn Personen zum Islam übertreten, mag das vielfach damit begründet sein, dass Männer eine Muslimin heiraten und dass jemand eine Religion sucht, die ihm oder ihr durch Vorgaben Halt und Stütze bietet.

Ihr neuestes Buch heißt „Religion als Kunst“. Dass die Weltreligionen eine treibende Kraft der Kunst sind und waren, steht außer Frage. Was aber macht Religion zur Kunst?

Religionen verwenden vielfach Gegenstände, um ihre Inhalte auch gestalterisch zum Ausdruck zu bringen. Diese Gegenstände möglichst auch kunstvoll gestaltet. Mitunter kann dieser Prozess so weit gehen, dass sich die religiöse Botschaft vollständig in einem Kunstwerk gestaltet. Das passiert bei jeder Religion in der je ihr eigenen Weise. So ist der Koran in erster Linie ein Kunstwerk des Klanges, wenn er rezitiert wird. Bei einer Buddhastatue geht es darum, das Wesen der Erleuchtung in ihr möglichst kunstvoll zum Ausdruck zu bringen. Im Hinduismus kann die Polarität der Welt, in der wir uns befinden, durch den dynamischen Tanz der Gottheit Shiva symbolisiert werden. Dies sind einige Beispiele.

Sie sind ein ausgewiesener Islamkenner und portraitieren in ihrem Buch den Koran als Kunstwerk. Warum tut sich die westliche Gesellschaft so schwer im Umgang mit dem Islam?

Von Nichtmuslimen wird der Koran selten in seiner kunstvollen Gestalt, in seinen Bildern, in seiner Lautgestaltung und in seiner Schönheit insgesamt wahrgenommen. Sie verstehen ihn – wie einige Muslime auch – zunächst als Gesetzwerk, das ihnen fremd ist. Die wenigsten von ihnen haben den Koran je gelesen oder versucht, ihn zu verstehen. Zudem wird diese Religion in den letzten Jahren als Feindbild aufgebaut, so wie der Buddhismus ein durchweg positives Image bekommen hat.

Ultradogmatische und gewaltbereite Muslime haben in den letzten Jahrzehnten unser Bild dieser Religion stark geprägt. Sie beschreiben hingegen eine andere Seite des muslimischen Glaubens und betonen seine interreligiösen Aspekte. Wie verzerrt ist unsere Sicht auf den Islam?

Unsere Sicht wird sehr stark medial geprägt. Aus diesem Grund besteht sie vielfach aus dem, was sich als Schlagzeile eignet. Wenn ich als Religionswissenschaftler über den Islam spreche, habe ich 1400 Jahre Geschichte einer differenzierten Religion und einer Hochkultur inklusive Philosophie und Poesie vor Augen und keinen Momentausschnitt. Ein Teil dieser Perspektive ist auch die intensive Verbindung des Korans, der in fast jeden Vers letztlich aufgrund seiner Entstehungssituation mit biblischen Texten verbunden ist. Entscheidender sind Prozesse der Auseinandersetzung einer Religion mit der Moderne und auch mit Anfragen einer säkularen Kultur, die im westlichen Verständnis eine Rolle spielen.

Sie schreiben sehr anschaulich über die tiefe Bedeutung von Kunstgegenständen wie etwa einem Kruzifix oder eine Buddhastatue für die Religionsausübung. Ist es heute überhaupt noch vertretbar, wenn unsere ethnologischen und kunsthistorischen Museen religiöse Artefakte zur Schau stellen?

Religiöse Gegenstände und damit auch religiöse Kunstwerke entfalten ihre eigentliche Bedeutung erst in ihrem jeweiligen religiösen Kontext und machen nur in ihm wirklich Sinn. Dennoch sehen auch viele Religionen vor, dass ihre religiösen Gegenstände zu säkularen Gegenständen der Kultur werden können. Dies geschieht, wenn sie ihre Umgebung verlassen. So verlässt etwa Buddha wieder die Statue, in die er hineingerufen wurde. Sie ist damit leer. Dennoch gilt es, jeweils die Würde der Gegenstände zu achten.

Während es mittlerweile einen breiten gesellschaftlicher Konsens gibt, die religiösen Gefühle von Juden und Moslems zu respektieren, stellen wir weiterhin in größter Unbefangenheit Buddhafiguren in Wellnessoasen. Entscheidet die Toleranzbereitschaft der jeweiligen Religion zugleich über unseren Umgang ihr?

Wenn durch das Aufstellen einer Buddhafigur zumindest eine gewisse innere Entspannung und geistige Tiefe erreicht wird, wäre ja schon etwas auf dem Buddhaweg getan. Selbstverständlich wird, insbesondere aufgrund der deutschen Geschichte, die Gefahr als weit größer empfunden, gegenüber jüdischen Gegenständen und damit dem Judentum irgendetwas falsch zu machen. Gegenüber dem Islam spielt die Furcht vor möglicher Gewalt eine größere Rolle.

Viele gesellschaftliche Konflikte haben religiöse Ursachen. Wie steht es um unsere interreligiöse Bildung und Dialogbereitschaft im internationalen Vergleich?

Oft wird die Rolle der Religionen in diesen Konflikten überschätzt. Soziale und wirtschaftliche Gründe sind vielfach entscheidender. Unsere Hauptfrage in dieser Richtung wird dennoch sein, wie wir allgemein mit unseren Mitmenschen umgehen, die eine andere kulturelle, politische oder eben auch religiöse Position vertreten. Ich verwende als didaktisches Mittel in meinen Veranstaltungen gerne den Perspektivenwechsel: Wie verstehen Christen oder Juden das, was ich gerade aus dem Koran vortrage, oder wie sehen Muslime bestimmte christliche Positionen, was hören sie und was verstehen sie jeweils. Gesellschaften wandeln sich. So wurden vor einigen Jahrhunderten Protestanten in katholischen Gebieten mit fast denselben Vorurteilen belegt, wie jetzt z. B. Muslime oder Angehörige anderer Religionen. Länder, in denen die Vielfalt von Religionen seit Jahrhunderten besteht, können damit oft selbstverständlicher umgehen.

Ihr Vortrag befasst sich mit dem Judentum, Christentum und Islam sowie „die Hoffnung auf Einigung“. Gibt es nach Jahrhunderten der Feindschaft und Kriege wirklich noch eine Chance auf friedliche Koexistenz der drei abrahamischen Religionen?

Die Geschichte der Religionen zeigt, dass ein friedliches Zusammenleben über Jahrhunderte hinweg grundsätzlich möglich ist. Auch Protestanten und Katholiken hatten sich über Jahrzehnte hinweg in Deutschland aufs Blut bekämpft, aber ebenso auch problemlos miteinander gelebt. Es kommt nicht darauf an, die Vielfalt der Religionen aufzulösen oder Unterschiede anzugleichen. Das Ziel spezifisch in diesen drei Religionen kann vielmehr die Achtung vor dem gemeinsamen Ursprung sein und die von Gott gegebene Verpflichtung aller drei Religionen, mit anderen Menschen in Würde umzugehen.

Das Buch von Bertram Schmitz „Religion als Kunst‘“ ist im Tectum Verlag erschienen, hat 354 Seiten und kostet 50 Euro.

Quelle: Langenhagener Echo vom 20.08.2022

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