Form und Leere

Zen-Malerei in west-östlicher Korrespondenz

von Reinhard Knodt und Thorsten Schirmer
Herausgegen von der Akademie für west-östlichen Dialog der Kulturen e.V, anlässlich einer Ausstellung mit Werken von René Böll, Thorsten Schirmer und Exponaten der Sammlung Walter Gebhard im Tenri- Japanisch-Deutsche Kulturwerkstatt, Köln, 2021

Verlag für Ethnologie Hannover, 2021

ISBN 978-3-86421-109-6

Vorwort des Herausgebers

Wenn sich Künstler aus dem Westen mit der Kunst Ostasiens befassen, so wird das nicht reibungslos vonstattengehen. Nicht nur Verständnislücken und verschiedene kulturelle Interpretationsmuster, auch die emotionale Distanz oder besondere Nähe zu verschiedenen kulturellen Überlieferungen kann schnell zu abwertenden Urteilen oder falscher Begeisterung führen. Will man dem Problem dieser im Grunde unüberbrückbaren Distanz gerecht werden, so ist der Weg des Miteinanders nicht in gegenseitigem Verstehen oder in idealen Gemeinsamkeiten zu suchen, die sich im Praxisfall oft doch wieder als Missverständnisse herausstellen, sondern wohl eher in dem Versuch, etwas miteinander zu tun, sich auf den Weg zu machen. Dies ist auch der Kern der Korrespondenzphilosophie, die nicht mehr danach fragt, ob sich verschiedene Menschen verstehen, ob sie sich „einigen“ können, sondern danach, ob sie zusammen etwas zustande bringen – und was dies ist. Nicht nur der Osten sagt hierfür: „Der Weg ist das Ziel.“


Der Prozess eines solch korrespondierenden Miteinanders ist komplex und mit dem Begriff des Dialogs nicht ausreichend wiedergegeben. Vielmehr muss es um ein Miteinander gehen, das tiefer und vor allem nicht nur auf der theoretischen Seite ansetzt. Einen solchen Weg habe ich 2017 vorgeschlagen und in dem Buch „Der Atemkreis der Dinge“ auf verschiedene Gegenstände angewandt – auf Gärten, Religionen, die Liebe, das Internet und auch auf die Betrachtung von Kunstwerken. Gerade die Künstlergemeinschaft, die Autorengemeinschaft – bei allen sonstigen Verschiedenheiten – ist der Test, ob dieses Rezept funktioniert. Die These, man brauche sich nicht gegenseitig zu verstehen, es genüge vollauf, wenn man zusammen etwas zustande bringe, sei hier also erprobt. Es ist die Zusammenarbeit zwischen einem Autor, der im Wesentlichen „abendländische Kunst“ interpretierte und einem Zen-Maler und Autor, der im Wesentlichen die ostasiatischen Anforderungen an die Zen-Malerei zu erfüllen trachtet.


Dass es vor allem Künstler oder kunstaffine Denker waren, die meine Korrespondenzphilosophie seit ihrem Erscheinen aufnahmen, hat mich zuerst etwas stutzig gemacht. Ich dachte nämlich, ich hätte eine Theorie des Zusammenwirkens von nahezu Allem und Jedem entwickelt. Alles ist „verkettet, verfädelt und verliebt“, war das Nietzschewort, das ich als Motto gewählt hatte. Andererseits war ich beruflich an der Universität der Künste tätig, redete auf Vernissagen, nahm an studentischen Ausstellungen und Mappenbeurteilungen teil. Also musste ich schließlich in der Nachbetrachtung vor mir zugeben, dass ich trotz aller umfassenden Überlegungen ganz unwillkürlich in erster Linie wohl eher eine Kunstphilosophie geschrieben, allerdings eine, die den Horizont der Kunst sehr weit absteckte.


Dass dieser Horizont die westliche wie die östliche Hemisphäre gleichermaßen zu umschließen vermag, möchte diese Schrift am Beispiel der fernöstlichen Zen-Malerei und ihrer Wirkung auf zwei westliche Künstler nachweisen. Der Versuch, sich gedanklich auf neuen Wegen dem rund tausend Jahre alten Thema der Zen-Malerei zu nähern, wird getragen durch ein Ausstellungsprojekt im Kölner „TENRI – Japanisch-Deutsche Kulturwerkstatt“. Gezeigt wird japanische Zen-Malerei aus der Sammlung unseres 2019 verstorbenen Akademiemitglieds Walter Gebhard, dessen Assistent ich an der Universität in Bayreuth sein durfte, in Korrespondenz mit Tuschmalereien von René Böll und Thorsten Schirmer.


Wenn wir uns nun also aus der Perspektive des Westens dem Weg des Malens im Geiste Ostasiens nähern, so geht es nicht darum zu übersetzen, zu verstehen oder umgekehrt die eigene Herkunft zu verleugnen und sich eine fremde Identität anzueignen, sondern schlicht um die Überwindung all solcher vereinheitlichenden oder ichbehafteten Konzepte, wie dies die jetzt kurz umrissene Überlieferung des Zen-Buddhismus fordern würde. Wer in dieser Weise den Korrespondenzen von West und Ost nacharbeitet, steht im Einklang mit den Prinzipien der ostasiatischen Philosophie wie auch der höchsten Anforderungen des Westens, gleich wie viel „Westliches“ oder „Östliches“ das äußere Erscheinungsbild seines Werkes charakterisieren mag.


Berlin, im Frühjahr 2021                           
Reinhard Knodt

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