Tuschespuren in der Leere

Chan-Malerei im Dialog zwischen Ost und West.
von Autorengemeinschaft
Mit Beiträgen von Walter Gebhard, Reinhard Knodt, Yan Xu-Lackner, 
Thorsten Schirmer, Kang Shiwei, Liu Xiochun.


Verlag für Ethnologie Hannover, 2019

ISBN 978-3-86421-107-2

Das vorliegende Werk trägt den Titel „Tuschespuren in der Leere“.  Für Menschen, die den Kulturen Ostasiens eher fern stehen, mag gerade der Begriff der „Leere“ zunächst eher eine vage exotische Stimmung evozieren. Nun sind „Tuschespuren“ und „Leere“ allerdings in der Tat zwei zentrale Begriffe in der chinesischen und japanischen Malerei. Die Vorstellung von „Tuschespuren“ mag noch einigermaßen selbsterklärend sein. Doch die in diesem Band enthaltenen Beiträge und Bilder wirken eigentlich darauf hin, zu erklären, was die „Leere“ ist und diese in den Kontext der „Tuschespuren“ zu stellen. Dieser Frage hat François Cheng von der Académie Française ein ganzes Buch gewidmet: Fülle und Leere: die Sprache der chinesischen Malerei  (Leipzig, Merve, 2005). Die Leere, so François Cheng, ermöglicht es uns, „sich dem Universum ganzheitlich anzunähern“, Mikrokosmos und Makrokosmos zu verbinden. Leere wird in der Malerei bisweilen durch ein Tal dargestellt, „ausgehöhlt und sozusagen leer, versorgt und ernährt es dennoch alle Dinge“. Hier wird philosophisches Denken körperlich.  

Also ist der Titel dieses Bandes doch nicht der Exotik halber gewählt, sondern hat einen programmatischen Hintergrund, den es zu erläutern gilt. Im transkulturellen Dialog ist ja stets durchweg die Frage zu stellen, welches Maß an Exotik sinnvoll ist: sie macht einerseits auf den fremden Inhalt neugierig, zieht vor allem die Sinnsucher an; andererseits kann sie kontraproduktiv werden, indem sie in Oberflächlichkeit verharrt und tieferes Verständnis vereitelt. Unter welchen Umständen wirkt sie völkerverbindend und ab welchem Grad eher trennend? 

Die Globalisierung der Wirtschaft und Wissenschaft sowie das Internet mit seinen bahnbrechenden Möglichkeiten der Kommunikation und des Wissensaustauschs verbinden an der Schwelle zum dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die Menschen rund um den Globus in einer bis dahin nicht gekannten Art und Weise. So positiv und wünschenswert dieser Prozess auch sein mag, nimmt seine unaufhaltsame Eigendynamik dennoch eine Geschwindigkeit an, mit der die für eine nachhaltige Annährung der Völker unabdingbar notwendige kulturelle Dialogbereitschaft nicht schritthalten kann. Auch die damit einhergehende gewisse Oberflächlichkeit in der Kontaktnahme, die vermeintliche Idee, mit der ganzen Welt verbunden zu sein und über alles an Wissenswertem zu verfügen, sowie der damit unweigerlich erfolgte Verlust einer gesunden Portion an Neugier stellen die besonderen Herausforderungen für die Dialogbereitschaft dar. 

Den Dialog zwischen den Kulturen zu fördern und zu entwickeln ist nicht weniger dringlich als vor der derzeitigen Epoche der Globalisierung, sondern ganz im Gegenteil. Er zählt zu den zentralen Aufgaben unserer Weltgemeinschaft auf dem Weg in eine friedliche und prosperierende Zukunft. Als eines der nach dem Vorbild der deutschen Goethe-Institute weltweit etablierten Konfuzius-Institute haben wir die Aufgabe, Sprache und Kultur Chinas in Deutschland zu vermitteln. Jedoch führt die Frage nach dem Wie und dem Was uns wiederum auf die eingangs gestreifte Erkundung von Exotik zurück, denn das primäre Ziel unseres Instituts ist in der Förderung der Dialogbereitschaft und Völkerverständigung begründet. Anders als die Goethe-Institute sind alle Konfuzius-Institute weltweit von Anfang an als bilaterale Unternehmungen konzipiert worden (zumeist sind zwei Universitäten daran beteiligt), wohl mit dem Gedanken, dass Kulturvermittlung keine Einbahnstraße darstellt. Wohl wissend, dass diese Aufgabe weit größer ist als jedes noch so intensive Engagement unserer Institute und daher einen ständigen Dialog benötigt, freuen wir uns umso mehr, wenn unser Wirken die Unterstützung gleichgesinnter Vereinigungen und Institutionen erfährt. 

Wir begrüßen es daher sehr, dass sich mit der Akademie für west-östlichen Dialog der Kulturen gerade hier ein Verein konstituiert hat, dessen Ziele und Ideale mit unseren Vorstellungen gut korrespondieren. Wir stehen hier einer Gemeinschaft von renommierten Akademikern und Künstlern gegenüber, die nicht nur am Informationsaustausch, sondern vor allem auch an lebendiger Zusammenarbeit sowie an der praktischen Entwicklung gemeinsamer interkultureller Projekte interessiert sind und dies nicht weit von hier in dem in der Region bekannten „Schnackenhof“ (www.Schnackenhof.de) seit Jahren pflegen. Für uns war es deshalb eine leichte und gern getroffene Entscheidung, die in diesem Buch vorgelegte Idee aufzugreifen und mit zu entwickeln. 

Genau im Zuge der Globalisierung wenden sich viele Menschen verständlicherweise auch wieder ihren Regionen zu (Stichwort „Glocalization“). Als Leiterin des Konfuzius-Instituts Nürnberg-Erlangen freue ich mich ganz besonders, dass die Akademie für west-östlichen Dialog der Kulturen mit dem Sitz in unserer Region auf uns zugekommen ist. Da ich selber aus Hangzhou stamme, schwingt auch eine gewisse Befriedigung mit, dass die in diesem Buch vorgelegten Bilder einen starken Bezug zu Hangzhou aufweisen und Hangzhou geradezu als Wiege der Chan-Malerei beschreiben. 

Das Buch dokumentiert das Wirken von drei Persönlichkeiten, die sich über Jahrzehnte hinweg intensiv mit der Malerei Chinas und ihren Einfluss auf den ostasiatischen Kulturkreis befasst haben - der eine als Sammler, die anderen beiden als Maler. Es zeigt zum einen den Sammler aus dem Westen und seine Liebe zur Malerei des Ostens, dessen so wertvolle wie einzigartige Sammlung den über Jahrhunderte hinweg gepflegten Dialog zwischen der Kunst und Geisteswelt Chinas und Japans dokumentiert. Weiterhin lernen wir einen Künstler kennen, der sich bereits seit den frühen 70er Jahren ganz selbstverständlich sowohl in westlichen als auch in östlichen Maltechniken ausdrückt. Und schließlich begegnen wir mit dem Initiator dieses Projektes einem Mann, der sich seit seinem 14. Lebensjahr mit dem Weg des Malens im Geiste des Chan-Buddhismus beschäftigt, der der chinesischen Kultur auch familiär verbunden ist und der sogar in China als Lehrer dieser seltenen Technik der chinesischen Fingermalerei arbeitet.

Dank der großzügigen Unterstützung durch die Sparkasse Nürnberg ist es uns gelungen, dieses Zusammenwirken von europäischen und ostasiatischen „Kraftlinien“ erstmals öffentlich vorzustellen. Das Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen schätzt sich glücklich, damit einen künstlerischen Dialog zwischen Ost und West sowie zwischen Tradition und Gegenwart zu präsentieren, der in seiner inhaltlichen Tiefe außergewöhnlich, wenn nicht gar einzigartig ist. Wir hoffen, dass dies der Auftakt für weitere Stationen der Ausstellung in Deutschland sein möge und wünschen der Akademie und ihren Mitgliedern viel Kraft und Mut, ihren Weg des Dialogs zwischen den Kulturen weiterhin erfolgreich zu beschreiten.

Nürnberg, im Februar 2019

Dr. Yan Xu-Lackner

Direktorin des Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen

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