Dialog der Kulturen – eine Symphonie der Differenzen

von Prof. Dr. Reza Hajatpour

Kulturen sind Menschenwerke, sowohl in ihrer schöpferischen als auch in ihrer zerstörerischen Kraft. Sie sind Ausdruck menschlicher Rituale, Gewohnheiten, Weltanschauungen und Utopien – Manifestationen der Vielschichtigkeit der Lebensformen und der Zivilisationen.

Ein „Clash of Civilisations“ scheint aus diesem Grund einerseits fast vorprogrammiert, andererseits ist diese Programmierung  aber auch nicht so zwingend, wie oft dargestellt.  Sollte es dazu kommen, so sollte man eher von der Paradoxie eines misslungenen Werkes der Harmonie sprechen, das im Miteinander der Kulturen nämlich auch möglich und oft sogar der Normalfall ist. – Eine Störung der Harmonie der Unterschiedlichkeiten und vielleicht auch ein Missverständnis in der Auffassung der Vielschichtigkeit des Lebens.

Häufig wird  die Unterschiedlichkeit der Kulturen als Kerngrund ihres Zusammenpralls simplifiziert; dabei wird vergessen, dass Gewaltausübung nicht etwa die Erfindung der Kulturen, sondern ganz im Gegenteil Unkultur ist, ein dem Menschen angeborener Schutz- und Suchtmechanismus.

Es sind auch selten kulturelle Differenzen, die zu (kriegerischen) Auseinandersetzungen führen. Vielmehr ist es fast immer das Unvermögen und das Fehlen menschlicher Selbstbeherrschung, sowie unkontrollierte Selbstverherrlichung und (der) Drang nach missionarischer Weltbeherrschung, die zu Gewalt und Kriegen führen. Menschen sind all zu oft getrieben von unstillbarer Macht- und Habsucht, gekränkter Ehrsucht und Eitelkeit oder fehlgeleiteter Eroberungssucht.

Hinter jeder Sucht verbirgt sich jedoch auch eine versteckte Sehnsucht, die es zu verstehen gilt. So träumen wir zwar gelegentlich von einer konfliktfreien Welt, einer Harmonie oder Einheit, in der keine Differenzen existieren und alles nach unseren Vorstellungen läuft. Doch sind Differenzen ein Bestandteil unseres Wesens wie auch der Lebenswelt und folglich nicht umgehbar. Die Suche nach einer harmonischen Einheit ist also die Vision um die es ginge.

Die Herausforderung unserer Zeit besteht statt eines falschen Einheitsstrebens darin, das Zusammenleben der Kulturen in ihrer Unterschiedlichkeit anzuerkennen und zu formen, also die Unterschiede nicht um jeden Preis zu nivellieren, sondern fruchtbar zu machen. Das Miteinander der Kulturen ist also als „Symphonie der Differenzen” aufzufassen, als eine dynamische Kraft der Gegensätze und Unterschiede, als ein Fluss mit all seinen Windungen, Rhythmen und Klängen. – Kulturen gelten damit als Orte der Wahrnehmung des eigenes Selbst und der Verschiedenheit unserer Leben.

Die Vielschichtigkeit und Verschiedenheit gilt hierbei als unser Leitprinzip. D.h. Gegensätze sollen sich nicht zerstören und aufheben, sondern als Pole in Spannung zueinander bleiben und sich miteinander korrespondierend am Leben erhalten. Hier öffnet sich der Raum für die Integrationskraft miteinander bestehender Kulturen (des Lebens!), und damit die Wandlungswilligkeit, Toleranz und Freiheit des Menschen.

Die Orte der Begegnung  verschiedener Kulturen sind für uns also Orte der Kommunikation, der Integration, der Selbst- und Fremdwahrnehmung, der vielschichtigen Lebens- und Sichtweisen sowie der Bejahung des Eigenen und anderer.

Interkultureller Dialog im 21. Jahrhundert

Eine globale „Kultur” unseres 21. Jahrhunderts müsste in diesem Zusammenhang zu einer neuen Vision der Integration werden. Es geht dabei um die Erfindung einer neuen Lebenskunst der Wandlungswilligkeit, der Selbstüberwindung und Selbststeigerung, auf eine Weise, nicht die nicht nur dazu führt, die Andersartigkeit anderer zu ertragen, sondern vielmehr darüber hinausgehend zu unserer Identitätsbildung und Vielschichtigkeit führen kann.  Solch eine Haltung kann zu einer neuen Kultur und zu einem neuen Identitätsgefühl führen, das uns zu einem neuen Zeitalter führt, einem Zeitalter der Erfahrung mit dem Anderen. Diese Symphonie der Differenzen gilt es als Idee des neuen globalen Gesellschaftsvertrages zu etablieren, eines Gesellschaftsvertrages, der die Anerkennung und den Respekt auf Augenhöhe für eine bessere und offenere Zukunft zur Leitlinie erhebt.

Daher ist ein Verzicht auf jede Gewalt und auf  Absolutheitsansprüche geboten, um auf Grundlage realer Begegnungen realer Problemlösungen die Bewältigung von Missverständnissen und eine damit einhergehende Selbsterziehung zu ermöglichen. Das wäre dann auch die schöpferische Kraft einer neuen Kultur der Vielschichtigkeit und damit der Symphonie der Differenzen als neue Kultur. Es geht darum, miteinander zu korrespondieren, auch ohne einander auf das Gleiche zu verpflichten und es ist unumgänglich zu lernen, andere Menschen und ihre Kultur zu respektieren, auch wenn wir sie niemals vollkommen verstehen werden. Das was uns einigt, sind also am Ende nicht unsere Theorien und die „kleine Vernunft” des Kopfes, (Nietzsche) sondern die „große Vernunft” des Lebens selber.

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